Rest in Peace, Ray.







Antirat zieht um:
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Donnerstag, 31. März 2016

Vorweihnacht mit Cured Catherine (24): Im Zuckerwarenfachgeschäft. Innere Form, verloren.















Im Josef Holzermayr Zuckerwaren Fachgeschäft am Alten Markt in Salzburg begann ein älterer Herr die eben eingetroffenen Weihnachtswaren zu betrachten, als die Verkäuferin fragte, ob man ihm behilflich sein könnte, und er antwortete in höflichster Manier: Ach danke nein, die Augen funktionieren noch gut! Ich habe wohl etwas laut gelacht über die feine Ironie in seiner Stimme und er sah mich an, erkannte mein Verstehen und geriet ins Reden, wie es nur ein Österreicher kann: charmant, klug und kaum verständlich. Unter anderem zeigte er auf einen Adventskalender, der eine klassische Weihnachtsszene zeigt und sagte: Mei, ist der liab. Genau wie früher, vor 100 Jahren. Er kenne so alten Weihnachtsschmuck, den man bei seiner Mutter nach ihrem Ableben fand und dann geriet er ins Fluchen über die Moderne, wie hässlich sie sei. Er fragte: Wie lange muß man studiert haben, um so hässliche Häuser bauen zu können, wie man es heut tut? Er habe einen Freund, der zur Eröffnung einer architektonischen Glas-und-Stahl-Schrecklichkeit geladen wurde und dort angekommen sich umsah und schließlich fragte: Wann soll dies alles fertig werden? Der Architekt antwortete beißend: Es IST bereits fertig und ES IST SCHÖN! Der Freund seelenruhig: Ach so, das wusste ich nicht. Der fremde Herr im Zuckerwarengeschäft amüsierte sich über diese so unterschwellig hervorgebrachte feine Kritik und sei sicher, dass der Mensch ein angeborenes Schönheits- und Wohlgefallensempfinden habe und wir sollten es doch auch benutzen. Eine der Begegnungen in Salzburg, von denen man nie weiß, ob sie nicht jemand geplant hat.

Ich war also auch beim Trakl, es war sehr beeindruckend. Ich mag ihn mehr als Baudelaire, von dem er beeinflußt war. In der ganzen Stadt gibt es Tafeln mit seinen Gedichten, die jeweils mit dem Ort zu tun haben. Es wirkt fast verschämt und trotzig, wie sie dort hängen. Verschämt, weil sich doch all die Japaner und Franzosen, die wegen der Mozartkugeln gekommen sind, nicht einen Deut um die Lyrik eines Salzburger Jünglings scheren, Lyrik, über die Wittgenstein sagte: Ich verstehe sie nicht, aber ihr Klang lässt mich träumen. Trotzig, weil es eben doch eine so besondere Stadt ist, dass solche Tafeln nur folgerichtig ihrer allerliebst verfallenen Schönheit Worte geben und bei näherem Betrachten auch Trakl folgerichtig hier gelebt und gelitten hat und hin und wieder doch ein paar Krähen kommen, um in seinen Spuren herumzuwandeln. Wir waren die einzigen, die in der Gedenkstätte klingelten und es öffneten die zwei Menschen, die sich seit Jahrzehnten für den Trakl einsetzen. In der ersten Salzburger Wohnung der Familie, in der Georg Trakl geboren wurde, umrahmt von Möbeln und Gegenständen der Familie und Briefen, Fotos und des grünrotschwarzen Selbstporträts Trakls zeigte man einen 40minütigen Film, der äußerst feinfühlig Trakls Leben, Schaffen, Gedanken, Träume und Abgründe zeigte. Seine Briefe, die auch im Film zitiert werden, erklären naturgemäß viel, was ohne sie nie ans Licht gekommen wäre. Zeitgleich lese ich Simone de Beauvoirs Briefe an Nelson Algren und sie sind auch so beeindruckend, weil sie so ehrlich sind im Gegensatz zu ihren Memoiren, in denen sie so vieles nicht sagt oder den Briefen an Sartre, in denen endlos taktiert und politisiert wird. In solchen äußerst privaten Briefen sind die Menschen mehr sie selbst, wahrer noch, wahrhaftiger als in jeder anderen Begegnungsform.

Was war noch? Ach ja, im berühmten Tomaselli Café irritierten wir die sehr hübsche, ältere Frau Lydia mit der Frage, ob sie Peter Alexander auch schon dort bedient habe und sie war verwirrt und glaubte nicht, aber sicher sei sie auch nicht. Ihre Verwirrung mutete äußerst komisch an im Rahmen dieser feierlich-ernsten Kaffeehauskulisse. Kopfschüttelnd nahm sie ihr Tortentablett und zog von dannen. Am Mondsee war eine Stimmung wie in einer Traumdarstellung. Nebel hing in den Bergen, der See war düster und grau und von tiefer, unwirklicher Schönheit, Touristen gab es dort keine mehr außer uns und diese Einsamkeit war besonders erholsam. Am Chiemsee dagegen Kaiserwetter am Königsschloss und Schnee auf den Gipfeln. Es war schwer, zurückzukommen, aber hier sind wir.











Aus dem Tomaselli stand Trakl einmal auf, um den Huren in der Judengasse Faschingskrapfen zu bringen. As you surely know, wenn zB der Herr Otto Basil Sie begleitete. Es war wohl die perfekte Zeit für einen Weg auf Trakls Spuren, wie ja auch Ihre wundervollen Photos belegen, nahe an der Trakl-Jahreszeit, die es nicht gibt, die immer zwischen allen anderen Jahreszeiten liegt, schwarzer Schnee rinnt von den Dächern, Ahorn rauscht im alten Park, schwarzes Gondelschiffchen schaukelt durch verfallene Stadt. Der phantastische fremde Herr im Zuckerwarengeschäft wiederum, der den alten Weihnachtsschmuck vor dem Vergessen rettet, ist wie Joseph Roth. Ihr schöner, atmosphärischer Bericht bestätigt mir, der ich zeitweise am liebsten in "Der dritte Mann", also dem Film, wohnen würde, daß man einfach in den Kaffeehäusern der k.u.k. Monarchie hätte hängenbleiben sollen.

Man fragt sich ja oft, wie man eigentlich hierhergekommen ist, wo niemand mehr "Habe die Ehre" sagt. Daß es einen angeborenen Schönheitssinn gibt, behauptete ja auch Shaftesbury, über den ich mein Magisterpamphlet schrieb. Und auch daromm, wie es sey, daß alle, Goethe und Schiller, Kant und Winckelmann und Lessing, von Shaftesbury geklaut haben. Goethe zB stahl vom Third Earl den Begriff der "inward form" - die innere Form. Die verlor ich restlos beim Konzert von Peter Murphy. Das ist aber auch nicht verwunderlich, wenn diese Legende, dieser Mythos, dieser Djinn Man, der zu Beginn des Konzerts aufgrund einer Erkältung etwas gereizt schien, nach circa 13 Songs vor uns stehenbleibt, seine Hand ausstreckt und "Hello!" zu IHR sagt. Er nimmt also ihre Hand und sagt: "You're very attentive, thank you, it encourages us, me especially, when somebody's looking so... so inspired", und sagt ihr letztlich, in dieser halben Minute, von der verdammten Bühne aus, was ich ihr seit Äonen zu sagen versuche. Warum ist das Leben nicht einfach langweilig? Irgend jemand hat seine Hand fest im zerzausten Haar der Wahrheit – and twists her around. Würden Sie in unserer Kartei nachschauen, Watson?

Zwei Folgen sah ich bisher, Scandal in Bohemia und The Dancing Men. Bezeichnend, daß die Kokain-Szene für die Deutschen herausgeschnitten wurde. Wir könnten ja alle sofort zum nächsten Kokaindealer laufen und enthemmt brüllen: "DIE FLAGGEN SIND DAS WORTENDE, WATSON!" oder "GEBT MIR DAS ABSTRUSESTE KRYPTOGRAMM!" Jeremy Brett mit seinen Morphinistenmundwinkeln ist so beunruhigend definitiv und so definitiv beunruhigend, daß man ihn eigentlich nur mit exakt diesem Watson begleiten kann. Sie hatten Recht und ich werde Ihnen ewig dankbar sein, case closed.

Marisha Pessls Vater ist auch Österreicher. Bin auf p.200 etwa. Erstmal bin ich abgeglitten an dem Buch, das mir zu perfekt schien und dabei zu leerlaufend. Zu auf amerikanische Art mit leicht verschrobener Smartheit prunkend. Zu clever kalkuliert und zu von sich überzeugt darin, daß auch der siebzehnte Zusatz zum mehr oder weniger aufregenden Detail noch unwahrscheinlich geistreich wirkt. Ungefähr an dem Punkt, wo Hannah Schneider dezidiert ins Spiel kommt, hatte ich mich wohl daran gewöhnt, jedenfalls seitdem offen für Bewunderung und Genuß an der virtuosen Sprache, den Vergleichen, den Metaphern, den Kleinigkeiten, vor allem vielleicht den Kleinigkeiten. Schließlich gibt es auch noch andere mir bekannte Bücher, deren erste 50 Seiten man erstmal überleben muß. (Insert Ha Bloody Ha here).

Anbei der Mann mit dem goldenen Licht in der Stimme.

Greetings from Serpentine Avenue



























Montag, 28. März 2016

Lydia Lunch













Die Pythia war eine Orakelpriesterin in der Tempelanlage des Apollon in Delphi. Sie verkündete ihre Prophezeiungen in Trance, altered states of consciousness, bei denen sich ihre Stimme veränderte. Sie saß im Adyton auf einem Dreifuß über einer Erdspalte, aus der Dämpfe aufstiegen; man vermutet, daß diese vapours für ihren veränderten Bewußtseinszustand verantwortlich waren. Die "besessene" Orakelpriesterin, die in ihrer Erregung Apollon "empfängt", war eine Frau, die wie ein Mädchen gekleidet war, als "Braut" Apollons.




























Sonntag, 27. März 2016

2046
















"There's only one moment in which you can arrive in time. If you're not there, you're either too early or too late." - Johan Cruyff














SPIEGEL ONLINE Forum

"Lieblingsfilme - Was ist 'Großes Kino'?"




22.05.2007

"Man erkennt eine verwandte Seele nicht, wenn man sie zu früh trifft ... oder zu spät."

Diese drei Punkte, diese Lücke, diese Welt, wo wir sind, und wo wir sind, ist dieser lost highway of melancholy, auf dem wir die Vergangenheit nie hinter uns lassen, weil sie immer vor uns ist, 2046 macht ... aus uns allen, es sei denn ... es sei denn. Ich glaube immer mehr, daß Leute wie David Lynch und Wong Kar-Wei die wahren Realisten sind. An diesem Film stimmt alles, aber ich muß ihn noch 10x sehen, um zu verstehen, warum. Die Szenen zwischen Chow und Bai Ling haben mich mitgenommen wie lange nichts mehr, ich weiß noch nicht wohin, das Unsagbare gesagt in verspäteten Androidentränen.











03.01.2010 

erastel:
Guten Abend, mein persönliches Wunder 2010 ist geschehen! Nach einem wundervollen Film sehe ich mich geradezu gezwungen, mich hier anzumelden.
Aber zuerst einmal möchte ich allen Postern hier danken! Auch wenn es niemandem bewusst war (wie auch), gelang es Euch hervorragend, mich zu neuen, unbekannten Filmen zu interessieren und inspirieren.

Ich verfolge diesen Thread schon seit Jahren, habe seitdem viel Wissen von "Cineasten" übernommen, mein Blickwinkel manchen Filmen gegenüber hat sich verändert, neue Regisseure und Filme kennengelernt... Kurz, Danke an alle!

Speziell geht mein Dank an zwei Personen:

Aljoscha, Sie begeistern mich immer wieder auf ein Neues mit Ihrem Stil! "Ein Satz von Ihnen zaubert mir ein Lächeln auf mein Gesicht" -  um ein Zitat zu Ihrem (wohlbemerkt, wunderschönen, faszinierenden, aufregenden (ich könnte hier nun noch tausend weitere Attribute aufzählen)) Werk abzuwandeln. 

Und an Haio Forler: Sie hatten "2046" immer und immer wieder erwähnt, seine Besonderheiten hervorgehoben...

Nachdem ich gerade eben endlich mal dieses Werk gesehen habe... Mir bleiben die Worte weg.










Oh hell, sehe ich jetzt erst, dankeschön. Aber seien Sie versichert, mein Werk zaubert auch Finsterdreinblicken auf Gesichter. :)

Am Ende von "2046"  hat man immer so ein albernes Gefühl von: dafür ist Kino mal erfunden worden.









04.01.2010

Der Satz "Man erkennt eine verwandte Seele nicht, wenn man sie zu früh trifft ... oder zu spät" – wenn "2046" von Scheitern und Unmöglichkeit handelt, wie Du sagst, dann vielleicht in dem Sinne, daß es um die Schwierigkeit geht, in den Raum dieser drei Punkte zu kommen. Eine Schwierigkeit, die sich eben auch daraus ergibt, daß man im Grunde permanent auch in der Vergangenheit verweilt und eine imaginierte Zukunft bewohnt, daß die Gegenwart ständig überlagert wird. Zugleich zeigt "2046" virtuos, wie Liebe – in welcher Couleur auch immer, außer blau – wie Liebe selbst Zeit und Raum dehnt, aushöhlt, untergräbt, verändert. Folgerichtig ist es nicht so leicht, einfach zu sagen: laß Vergangenheit Vergangenheit sein, wenn die Vergangenheit auch in der Zukunft ist.

Ich habe immer den Verdacht, als Breton sagte, man müsse, um zu IHR zu gelangen, erst einen ganzen Berg Wäsche aus dem Weg räumen, meinte er gewissermaßen dasselbe wie Wong Kar-Wai, nur ein bißchen... sloppy. Aber es gibt diese Chance, und dann heißt es hellhörig sein für das, was Breton wiederum "die unwahrscheinliche Mitwirkung" nannte. Und die läuft in "2046" auch ständig mit, denn auch sie erschüttert unser Konzept von Linearität.

Aber lassen wir das. Oscar an alle Damen des Films, Lebenswerk-Oscar für die Cinematography.

































Freitag, 25. März 2016

Marcin Witt: Blackstar











[clic on pic to enlarge]







"Blackstar"

Marcin Witt

2016

Auftragsarbeit








Der Auftrag stammte von meinen lieben friends and colleagues, das Gemälde war ihr Geschenk zu meinem Geburtstag. Daß der Tod von David Bowie mir schwer zusetzte, konnte ich nicht gut verbergen, und daß Marcin Witt diese schöne Idee so phantastisch umgesetzt hat, daß ich zum stolzen Besitzer dieses Gemäldes werden durfte, hat mir viel bedeutet.