Rest in Peace, Ray.







Antirat zieht um:
-> Das Cabinet des Christian Erdmann





Sonntag, 29. Januar 2012

Vorweihnacht mit Cured Catherine (8): Seelenumwanderungen









Tihii... von einer Qualle sprachen Sie!? Schrecklich! Ich musste in Bio komplett kapitulieren und schrieb, soweit ich mich erinnere, nur die Fragen zu Antworten um. Brachte mir gnädige 2 Punkte ein, die mir vollkommen ausreichten. Ich weiß bis heute nicht, welches Thema es war, hab ich noch am selben Tag vergessen.
Ich hielt Sie weder für einen Künstler, noch für einen Musiker, aber ich ahnte doch, dass der Karren nur Tarnung war. Ersteres Faustzitat ist ja nun, als wusste Goethe von Ihrer Existenz. Vielleicht waren Sie sich wohlbekannt!?
                                                
Heute hielt ich Lenzens Werk in Händen und nun raten Sie mal, wie der Protagonist heißt!? Kihiii...

Ich sehe in der Oper schon gern etwas Schönes, aber oft haben Inszenierungen nicht mehr viel mit der Vorgabe gemein. Ich hab da auch schon Böses gesehen. Die Zauberflöten-Aufführung im Februar wirkte allerdings wie reformiert. Eine blasse Pamina mit langen dunklen Haaren trug ein leichtes schwarzes Kleid, auf welchem ein rotes Herz prangte und dazu schwarze Samtschühchen. Die Tiere waren allesamt mit Pappmachémasken dargestellt. Diese begrüßten uns schon im Foyer, was als Willkommen für eine kleine Opernerstbesucherin perfekt inszeniert war. Papageno war ein richtiger Papageno und trug keine merkwürdige Straßenarbeiterweste, alles schon gesehen. Zudem stellte ich mit Freuden fest, dass der Zuschauerraum der Oper nunmehr in rotem Samt erstrahlt und nicht wie einst in langweiligem Beigebraun. Als ich vor vielen Jahren auf einer studentischen Reise in der Wiener Oper von einem Stehplatz aus nicht viel von der Aufführung sah, die ich ohnehin nicht kannte und auch nicht kennen wollte, schaute ich mir lange die Raumausstattung an, wandelte später durch sämtliche Foyers und Treppenhäuser und verbrachte so einen glücklichen Abend.









Goethe, zufällig ist er an einem 22. März gestorben und ich geboren, kein Grund, mit Seelenwanderungstheorien zu flirten, wie kann man denn als Geheimrat den "Werther" so verschmähen hernach. Übrigens hat Goethe mal ein Vampirgedicht geschrieben, "Die Braut von Korinth" (3 Pluspunkte), jedoch den Begriff der "Inneren Form" von Shaftesbury geklaut, ohne dies zu gestehen (5 Minuspunkte). Gut: Goethe von hinten, von Tischbein (1 Pluspunkt). Der Protagonist von Lenzens Werk heißt? naja ich ahne es.
 
In der Hamburger Oper war ich zu ballettomanen Tagen praktisch zuhause, wir hielten die Klappsitze im 4. Rang quasi psychomagisch besetzt, war aber schon lang nicht mehr im Zuschauerraum, now. Die Pariser Oper verschaffte mir einmal ein ähnliches Erlebnis wie Ihnen die Wiener – Wien ist schön, nein? Hätte ich nur, als ich da war, schon gewußt, wo Alida Valli endlos (vorbei)ging –, und plötzlich spähte ich durch ein Bullauge, hinter dem Nurejew probte. Andächtig stand ich auch mal vor dem Théâtre des Champs-Elysées, wo "Le Sacre du Printemps“ 1913 uraufgeführt wurde, über das Ballett schrieb ich mal ca. 1000 Seiten an der Uni im Rahmen des Themas Kunst vs. Das Schöne, und doch – und doch wußte ich nicht einmal, daß Quallen je so weit kommen, um im Winter woanders zu sein als im Sommer. Es paßt alles nicht zusammen, Watson.

Alles Liebe zum Geburtstag!









Danke schön! So ein hübscher Robert, die Farben... seufz.

Wien ist mächtig und überladen. Mächtig überladen. Es ist berauschend. Psychotraumanalyse und Traumpsychoanalyse zwischen alten Mauern, die zuviel wissen und ich kehrte jedes Mal als eine andere zurück. Aber so ist es ja immer. Sie wissen, dass "Before Sunrise" einer der Filme ist, die in meinem Regal stehen. In meinem Regal passt auch nichts zusammen. Aber, Holmes, wenn ich Sie an Ihre eigenen Worte...: "Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten." Goethe schrieb auch das Hexeneinmaleins und überhaupt wusste er von Dingen, die Generation Keine Ahnung nicht mal erahnen würde, wenn sie sich ihr auf den Schoß setzten.

Geklaut? Goethe? So. Jede kreative Leistung entsteht zunächst mal aus Nachahmung, hörte ich. Goethe kannte seine Schatten - sicher. Aber was wissen wir, was damals war? Zu Lebzeiten C.G. Jungs steckte die Menschheit bewußtseinstechnisch in den Kinderschuhen. Wenn Sie und er mich fragen würden, sie hat sich seit Erfindung der Spielkonsole noch deutlich zurückentwickelt. Sagte die Resignation, wurde alt und starb. Aber wenn dies so wäre, dann entwickelt sie sich vielleicht schon länger rückwärts? Und wenn Sie 1913 in Paris mit Alida Valli "Le Sacre du Printemps" durch ein Bullauge uraufgeführt sahen, dann wissen Sie genau, wovon ich rede.
 
And now to something completely different. Bringt Phillip Lahm heim.









Mächtig, überladen, berauschend – schön. Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Ein auf Seite 36 stehengebliebener pornographischer Roman, den ich "Menschen im Hotel" zu nennen gedachte, spielt in Wien. Sie wissen auch genau, wovon ich rede: so, wie Sie Uraufführungszeugenschaft beschreiben, ist einmal eine Frau aus einem Film gestiegen. Potenziert synkretistischer Impressionismus. Kennen Sie eigentlich die Last Shadow Puppets? Geniale Synkretisten, mit dem ganz frühen Bowie und Scott Walker als Göttern. Und natürlich tun die genau, was Sie sagen: eine neue Maschine bauen aus Teilen, die schon rumliegen. 
 
Im Vorordner Hensson 1240 müßten sich noch zwei Uralt-Cure-Artikel befinden, dachte ich. Einer ist aber futsch, der hieß: "Wir machen depressive Musik, weil wir nicht lügen wollen". Wieso eigentlich depressiv? Die Hitparade ist depressiv. Der andere heißt "Seeumwanderungen mit schlafenden Kindern". Soll ich den mal für Sie scannen? Nicht sehr ergiebig, aber nett. Phillip Lahm? The eternal Stimmbruch? Finden Sie nicht, daß Sergio Ramos aussieht wie Marilyn Manson, als er noch Brian Warner war? Finden Sie nicht, daß Fernando Torres der Saint-Just der Sturmreihen ist?









Ja, Ramos-Manson habe ich auch erkannt, Torres habe ich meistens ignoriert. Perfektion langweilt doch nur... Slaven Bilic erinnerte mich an einen älteren Ian Curtis – ein interessanter Mann, denken Sie nicht? Die Kroaten sind unbedingt weiter im Auge zu behalten, ebenso die Russen natürlich. Eternal Stimmbruch war für mich der Mann der EM, trotz oder vielleicht gerade wegen seiner fehlenden Attraktion. Seiner unermüdlichen Lauferei verdankt die deutsche Mannschaft sehr viel. Wurde ja auch geehrt für seinen Einsatz. Insgesamt eine sehr schöne EM.

Seeumwanderungen mit schlafenden Kindern würden mich sehr interessieren, ich habe nur wenige Artikel aus den 80er Jahren aus Jugendmusikzeitschriften (mit Titeln wie "Würmer zerfressen sein Gesicht."). Die meisten Interviews mit Robert sind ja voller Unsinn, weil er immer wieder solchen erzählt hat. Heute geben sich The Cure so düster, wie man sie damals dachte, es aber nicht waren. "Wir machen depressive Musik, weil wir nicht lügen wollen?" *lach* Gelogen hat Robert in Interviews immer gern, aber in der Musik war alles so grundehrlich, dass sie in die Tiefen trifft, zu denen die Hitparade keinen Zugang hat. Ja, die Hitparade gibt heute wie damals immer Anlässe für Spontandepression und Suizidgedanken, während The Cure und all "die anderen" (Sie wissen schon) genau das Gegenteil bewirken.

Nein, ich kenne bisher weder Ladytron noch die Schattenpuppen. Ich bin in eine Art Apathie gefallen, seit ein paar Wochen, die mich eher in Rückschau zwingt, als in Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem. Außerdem erfolgt etwas Innenschau, das Gefühl nicht mehr weiter zu können und hauptsächlich erschöpft zu sein, genauer betrachtend und schauend, wo all das hin soll, während Aufgaben warten und während Positivismus bzw. dessen Fehlen mir hilft, nicht ganz aus der Realität zu rutschen. I'm alive and dead. Aber ich fotografiere zur Zeit gern, es ist interessant, was man sehen kann, wenn man etwas mehr als einmal betrachten kann, was sonst nur ein Moment ist, der vorübergeht im Alltag. Ich habe früher viele Häuser aus Legosteinen gebaut, aus Teilen, die schon rumliegen. Das ganze Leben geht so, oder? Ich baute immer Häuser und heute baue ich Seelenhäuser. Synkretisten. Immer wieder neu zusammenbauen und dann fällt es wieder zusammen oder wir bauen es auseinander, weil es nicht mehr passt und dann wieder neu. Ja, das muß so sein, so sind wir wohl. Eine Frau stieg aus einem Film, ja, eine DER Stellen aus "Aljoscha", als er dessen gewahr wird. ("Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Realität? Soll ich Sie nach Hause bringen?...") :)









"Würmer zerfressen sein Gesicht"? Das ist groß. Gibt's auch einen mit "Spiderman schlürft sein Hirn"? Kürzlich bat ich einen Synchronizitäts-Interessenten im SpOn, mir meinen Lieblings-Cure-Song zu sagen. Von anderer Seite kam dann "Pornography, über Kopfhörer!" Was soll man denn davon halten? Mein Lieblings-Cure-Song ist natürlich "The Perfect Girl". Manchmal.
 
Slaven Bilic ist schon deshalb gut, weil er sich politisch unkorrekt rauchend von Stadionkameras erwischen läßt. – Eine DER Stellen aus "Aljoscha", sagen Sie? Ein paar Stellen aus "Aljoscha" verwandeln sich gerade in Russisch und Englisch, inoffiziell und überdies stelle ich fest, daß ich mich schlecht übersetze. – Photographie ist auch etwas, wohin ich zurück will, ich habe zuweilen mit eigenem Entwicklungsgerät und Chemieschalen unsere Küche dekonstruiert. Apathie nicht, insgesamt ein noch diffuses Verlangen nach dem wahren Jakob, manches "Zurück" darin, in solcher Rückschau können sich ja Wege ins Neue anbahnen, ich wünsche es Ihnen. "An sich neigt der Mensch dazu, sich zu verzetteln", wie Camus mal sagte, an sich habe ich aber auch die Neigung, all die Zettel mal zusammenzucamusen.









Was man davon halten soll? Ihr Interessent kannte noch keine Einzelheiten, wie mir scheint. "Pornography" würde wohl kaum jemand als Lieblingssong bezeichnen. "The Perfect Girl" – jawohl, außerdem würde ich Ihnen Songs wie "Bird Mad Girl" zuschreiben. Aber das ist ja auch nur mein Synchronizitätsempfinden dann. Es freut mich immer, wenn Menschen Werke wie "Pornography" überhaupt noch erinnern oder sogar wertschätzen.

Neue Wege, genau. Es geht voran. Die Zeit als Aljoscha im Ungewissen weilte, ob Synchronizität ihm zuteil werden würde, soweit ich es verstehe, war ja auch eine Zeit, in der starke Zweifel ihn heimsuchten. Können Sie folgen? Also, was ich eigentlich fragen will, wie beurteilen Sie die Fähigkeit des Menschen, zu lieben, ohne etwas zu fordern oder zu wünschen? Liebe, um ihrer selbst willen. Willen? Ach. Leben wir denn in einer Gesellschaft, in der das Ego größer ist als der Wunsch nach Spiritualität? Ja. Und es ist auch menschlich. Aber ist das nicht furchtbar langweilig auf Dauer? Natürlich ist auch das Ego ein erforderlicher Teil der Existenz und dauerhaft ist es vernünftig und evolutionär gegeben, nicht zu verweilen, wenn Liebe unerwidert bleibt. Die Liebe ist ein Wunder, das zwischen zwei Menschen entstehen kann, wenn einige Vorraussetzungen erfüllt sind.

Wenn dieses Wunder aber einseitig bleibt oder gar nicht mehr entsteht und Zweckgemeinschaften Vorzug gegeben wird, weil es rein äußerlich (und ich meine nicht optisch) zu passen scheint, was sagt es über Menschen?

Was sagt es über die Gesellschaft? Vermeiden Sie dann, jemanden zu finden, der Sie zurückliebt? Vermeidet die Gesellschaft Empfindung? Werden Menschen zur Black Box, in die gewünschte Verhaltensweisen indoktriniert werden können und dann verhalten die sich auch so? (Die immer stärker vertretene und lobgepriesene Verhaltenstherapie, die aus Kostengründen stark begrüßt wird von Seiten der Politik und vieler Therapeuten, basiert im Grunde auf dieser Idee, wie Sie vielleicht wissen. Sie erzielt aber nachweislich nur begrenzt anhaltende Erfolge.) Und ist dies etwas, das man überwinden kann? Am Ende geht es um Selbstwert, nicht wahr? Sich selbst wert sein, das zu finden und zu empfinden, was man sich wert ist.

Aljoscha sagt in einem Absatz, dass er zurückkehrt zu denen, die ihm teuer waren. Des Nachts, in der Stille und sie werden es nicht bemerken, aber es ist so. Und dies hat mich eben so beeindruckt, weil ich etwas Ähnliches immer empfand, aber nie in Worte gefasst habe. Ich empfinde Dankbarkeit für Begegnungen mit denen, die ich in mein Herz nahm und nie vergesse und all die Trauer über den Verlust des einen oder anderen ist dann überwunden, wenn sie in Dankbarkeit, dass überhaupt Begegnung, Austausch, Entwicklung gewesen, konvertiert. Ach, ich könnte einen Pjotr gebrauchen, der mir Mut und Willen leiht, damit Athene... naja, Sie wissen schon.

By the way, vielleicht müssen verzetteln und camusen sich abwechseln, denn das Leben ist eine Reihe von Phasen, wie mir immer deutlicher wird. Nothing lasts, but nothing is lost.









So viele Fragen. Das Unkryptische. Sie erinnern sich an unser erstes Gespräch beim Brunnen. Ich erzählte Ihnen, daß ich glaubte, etwas sei vorbei, und daß ich glaubte, etwas würde beginnen. Damals war beides wahr. Der Flughafen Fuhlsbüttel gehört mir, wissen Sie. Viermal habe ich dort auf sie gewartet und ihn zu meinem gemacht, und dann machten wir dieses Leben zu unserem. Ich bin irgendwann in diese Bude hier gezogen, weil ich es schuldig war. Allen und allem. Allein, Gods will be Gods but my one forgot I was made out of skin. Und das, als es nur noch die Entscheidung gab: Hochzeit oder nichts. An meinem Geburtstag, vor ein paar Monaten, war die letzte Station erreicht, die Lokomotive, die so viele Berge verschoben hatte, konnte nicht mehr. Doswidanja, Brombeermädchen, eines Tages wird ein Geist die Hütte finden, die wir bauten am versteckten Fluß. Eiszapfen am erfrorenen Kalender. Das letzte, was wir noch in Händen hielten, das Jahr, das nicht mehr kam. In deinen Augen sah ich unsere Zukunft. Wir waren Gottes dunkle Hoffnung.

Es gibt keine Liebe, die nicht wünscht. Es gibt Menschen, die nicht fordern. Aber wenn eine Frau sich wünscht, daß du der Mann ihres Lebens bist, verdichten sich Wünsche. Erst recht im 3000 Kilometer langen Zwischenraum, im Korridor des spell. Und ich meine ziemlich genau Nick Caves "Spell": genau so war es, vor vier Wintern. Der Poet ohne Mittel ist nur ein Spiegelbild, unwichtig für sie. Die Macht des Daß-sie-SIE-ist war distanziert, hatte aber keine Entfernung. Vermeidung? Zu wenig nicht vermieden. Am Ende war es ein Clash von Lebensweisen, nehme ich an.

Das nächtliche Zurückkehren, eine der cat skills. Wünschte, ich könnte ausdrücken, was es mir bedeutet, wenn Sie sagen, was Ihnen eine solche Passage bedeutet. Der Trick ist, man durchquert immer Unendlichkeiten, wenn man mit einer anderen Seele ist.






















Donnerstag, 26. Januar 2012

Nick Cave, And The Ass Saw The Angel







SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

März 2007






Mixolydian:
Und übrigens: eine ähnlich verstörende Atmosphäre wie McCarthys Anti-Western versprüht Nick Caves notorisch unterschätztes Swamp-Delirium "Und die Eselin sah den Engel". Cave schreibt wie im Rausch, rüstet seine Prosa immer wieder zu Feuerreden auf, die wie aus dem Mund eines wahnsinnig gewordenen Predigers gefallen wirken. Das literarische Äquivalent zu seinen frühen, völlig zerballerten Blues-Vergewaltigungen.







Diese Empfehlung kann ich nur unterschreiben, aber wenn's geht, das Original lesen, "And the Ass saw the Angel"... "Sucked by the gums of this toothless grave, ah go" klingt vielleicht nicht besser als "Der Gaumen dieses zahnlosen Grabs saugt mich hinab", rollt aber besser im Swamp-Idiom, wo jedes "I" zu "ah", jedes "my" zu "mah" wird. Zerballerte Dramatik schon, aber ein erstaunlich strukturierter Roman, konzipiert mit einer Disziplin, die man Cave zur damaligen Zeit wohl nicht zugetraut hätte. Lohnt sich eben doch, wenn der Papa (Englischlehrer) dem kleinen Nick Dostojewski und Nabokov vorliest. Cave ist nicht nur musikalisch ein Meister im Heraufbeschwören einer unheilschwangeren Atmosphäre ("The Carny" war ja quasi Brownings "Freaks" in 8 Minuten) und wartet mit so alttestamentarischer Sprachgewalt auf, als hätten sie damals sein Kapitel aus der Bibel rausgeworfen. Ukulore Valley ist ein böser, böser Ort, wo bei der Geburt gestorbene Zwillingsbrüder (klar: God help Tupelo) in Pappkartons begraben werden, Junkyard-Göttinnen Cosey Mo heißen und vergöttlichte Mädchenheilige Beth, und wo die Krähen nicht einfach nur so kreisen.







Mixolydian:
Das "zerballert" war auch eher auf den Inhalt bezogen: kaum eine Figur, die nicht wahnsinnig, vom Alkohol zerfressen, gewalttätig oder zutiefst bigott und böse ist. Caves Beschreibung des schrecklichen Todes der Mutter Euchrids ("a scum-cunted, likkered-up, brain-sick swine") hat mich damals um den Schlaf gebracht, so aufwühlend ist die Passage. Und das Zwiegespräch mit dem totgeborenen Bruder fand sein Echo kürzlich auf Scott Walkers "The Drift" (im Song "Jesse", in dem Elvis den Geist seines "stillborn brother" anruft). Weitere Szenen von ähnlicher Intensität sollten folgen...

Cave hat einmal in einem Interview gesagt, dass das Schreiben ihm leicht von der Hand ging, aber dass es die Hölle war, Struktur in die Aufzeichnungen zu bringen. Deshalb lasse auch ein weiterer Roman immer noch auf sich warten: er, Cave, wolle sich diesen Wahnsinn nicht noch einmal antun. Das Interview hat er vor ca. 8 Jahren gegeben, mittlerweile arbeitet er mit einer Beamtenmentalität an seinen Alben, von Rock 'n' Roll-Exzessen keine Spur mehr. Das hat er alles durch. Eigentlich eine perfekte Ausgangsposition für kommendes Großschriftstellertum. So wie bei Cohen, nur anders herum.
 

Von einem neuen Buchprojekt habe ich aber leider noch nix gehört. Vieleicht nagt ja das Euchrow-Trauma immer noch allzu arg am Gemüt des Meisters...







Ich hatte das Vergnügen, einer Lesung von Cave beizuwohnen, als der Roman noch nicht erschienen war (unter anderem las er das "Atra Virago"-Kapitel), er las im Stehen, und klang wirklich wie der Wanderprediger zwischen Sumpfland und Strumpfband. Außerdem ist meine englische Ausgabe von Nick signiert – eines meiner kostbarsten Bücher fürwahr.







Mixolydian:
DAS lässt mich jetzt aber wirklich vor Neid erblassen! Gerade weil ich immer noch Trauer trage, da der Meister kürzlich auf Solotour auch meine Stadt beehrte, während ich mir grippekrank die Seele aus dem Leib kotzen durfte :-(.
Aber wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, geht er demnächst mit "Grinderman" auf Tour.







Neues Buchprojekt wohl noch nicht, aber er hat ja jüngst das Drehbuch für "The Proposition" auf sein Konto gebracht, ein Film, der im australischen Outback am Ende des 19.Jahrhunderts spielt. Nach eigener Aussage mit Skrupeln, da er das Narrative als seine Stärke ansieht und nicht wußte, ob er überzeugende Dialoge schreiben könne. Scheint aber gut gelungen, betrachten wir es als Fingerübung für sein Großschriftstellertum.
 

Bevor er dazu ansetzt, hat er sich selbst und drei der Bad Seeds aber ja nun erst einmal genötigt, für Grinderman wie Nebenfiguren aus einem Italo-Western auszusehen (früher oder später landen ja alle bei Morricone), und der hier besser nicht zitierte Text der ersten Single legt nah, daß Nick erst noch ein paar Dinge dringend ventilieren muß, die ihm in der Einsamkeit seines berühmten "Büros" offenbar schwer zu schaffen machen.
 

Wünsche Dir jedenfalls, daß es klappt mit einem Konzertbesuch; ich habe ihn zuletzt auf der "Abattoir Blues / The Lyre of Orpheus"-Tour gesehen, mitsamt Frauengospelchor; wenn deren "Get Ready! Get Ready! Get Ready!" durch den Rabatz von ca. 20 (gefühlten) Bad Seeds schnitt, während Cave "Praise Him till you've forgotten what you're praising Him for!" stöhnte, war klar: in den Zug zu Jesus steigst du niemals ein... aber du hängst hinten am Seil am ratternden Zug, polterst über die Gleise... und du genießt es. :)
 

Cave hat auch mal einen Essay zum Markus-Evangelium geschrieben, als Einleitung für eine Ausgabe der King-James-Bible, und es ist interessant, daß seine Lyrics von englischsprachigen Theologiestudenten mittlerweile zu seriöser Arbeit herangezogen werden.































Freitag, 13. Januar 2012

Uninvited, Like The Clouds

















SPIEGEL ONLINE Forum "CDs der Woche - und Ihre Favoriten?" 

23.08.2007




icaros:
... schreibt halt eure Favoriten hier rein ...




Na dann: mein derzeitiger Favorit ist "Uninvited, Like The Clouds" von The Church. Die ist zwar schon von 2005, aber die Bandgeschichte findet eh in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum statt. Wie ja alle eben nicht wissen, ist dies die meistskandalös ignorierteste beste Band der Welt. Die beiden Gitarristen, Marty Willson-Piper und Peter Koppes, sind Bewahrer diverser Geheimnisse, zum Beispiel: wie würde ein fliegender Teppich klingen, wenn er klänge? Beide weben, Song für Song, seit 25 Jahren, einzigartige Texturen in einer ebenfalls einzigartigen Weise des Zusammenspiels. Ein Church-Song erklärt dir, wofür Gitarren erfunden wurden. Der größte Faux-pas im Zusammenhang mit dieser Band ist der Satz: Waren das nicht die mit "Under The Milky Way"? Ja. Waren sie. Und sind siriusweit davon entfernt. "Uninvited, Like The Clouds" kommt 20 Jahre nach "Heyday" und 13 Jahre nach "Priest = Aura", den beiden bislang besten Alben von The Church, und als Bonus zu den 12 Songs gibt es Pausen zwischen den Songs, die als akustisches Menetekel plötzlich die blasse Einfallslosigkeit von Heerscharen anderer "The"-Bands erscheinen lassen. Steve Kilbey, nebenher für einzigartige Basslinien bekannt, hat eine Stimme, der man glaubt, daß Kilbey tatsächlich im Zeitalter Nebukadnezars der Entdecker der Melancholie war, besser, der toska, der unbestimmten Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem, das dann doch immer wieder in Wahrnehmungen aufblitzt, für die Kilbey seit jeher magisch-mystische Bilder findet, in denen Dinge zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen ("Day 5"). Die Band befindet sich gerade, nach diversen Turbulenzen, in ihrer dritten kreativen Hochphase, längst jenseits von Gut und Böse des kommerziellen Erfolgs, trotzdem: spenden Sie Ihr Geld dieser Kirche.








Eventually
We came to a chasm dark and wide
And drifted in silence through endless anemones
In shallow dreams
Life was beginning to take a shape
Water was warm as it hastened our enemies
This kind of world will start a little colony
This kind of earth will eat a little energy
This kind of thing needs a little secrecy


After thousands of years
Our priests have predicted you would come
You with your death that appears in no photograph
We watched the night sky
We bickered like fools amongst ourselves
We sought protection in artificial youth
This kind of world will start a little colony
This kind of earth will eat a little energy
This kind of thing needs a little secrecy


In a sickening jump
I fell through the surface of my life
And I was cut back by the hollow camaraderie
The planet was still
Nothing moved as it slept in space
I pulled on my suit and exited quietly 










Listen
Can you even imagine how this all went wrong
Was supposed to be a good trip
We're all supposed to feel like we belong

Don't pitch me the script
I've got a suggestion for the end of it
Don't beat up your computer, don't downplay your soul
Don't find it wanting when you've lost control

Just like the stories they tell ya
Just like the tripe that they sell ya
Just like the dead you say 'hell yeah'

Watch out
You can never be certain if anyone is really a friend
This could have been such a sweet thing
We all should be leaving in the end

Your network's gone down
No one can connect you up in this town
You scoped out a slot, you scooped out a niche
You're strutting along on the end of a leash

Just like the stories they tell ya
Just like the tripe that they sell ya
Just like the dead you say 'hell yeah'

Help me
Can't find my way back
I feel like I'm already off the map
This should have been such a pleasure
I thought it would all fall right in my lap

Conversing with cash
You've cashed all your chips
You fished out my sea, see
You dropped all the drips

Just like the stories they tell ya
Just like the tripe that they sell ya
Just like the dead you say 'hell yeah'















Dienstag, 10. Januar 2012

There'll never be another... Ljudmila Turischtschewa





















Zu den Damen, in die schoolboy Aljoscha verliebt war, gehörte die sowjetische Kunstturnerin Ljudmila Turischtschewa (Tourischeva, Тури́щева). Zur Olympiade 1972 in München kam ein Farbfernseher ins Haus, Kunstturnen war eine der großen Attraktionen, Siegerehrungen mit der sowjetischen Hymne verursachten schlechtes Gewissen, weil ich die Melodie schon als Kind beeindruckend und schön fand. Olga Korbut wurde zum Liebling der 11.000 in der Olympiahalle, ihre Tränen rührten die ganze Nation zu der Erkenntnis, daß auch Mädchen aus der Sowjetunion Gefühle hatten, zu Hause in Grodno bekam Olga fortan 20.000 Briefe pro Jahr, die weißrussische Post stellte zum Sortieren einen eigenen Beamten ein. Turischtschewa schien umschattet, die Sympathien für den telegenen, strahlenden Spatz waren so überwältigend und intensiv, aber mein Herz gehörte ihr, die selten zu lächeln schien und von eher mysteriöser Eleganz war. Unvergeßlich auch, wie sie bei der Olympiade 1976 in Montreal um das Siegerpodium ging, um mit huldvoller Vornehmheit der Mehrkampf-Siegerin Nadia Comaneci zu gratulieren, bevor sie auf dem Podium ihre eigene Bronzemedaille entgegennahm.
Majestätische Anmut, eine wahre Dame unter den Turnerinnen, den klassischen russischen Ballett-Tänzerinnen-Stil verkörpernd.



Auf dem Schwebebalken in München:







Die Bodenübung:










"Klasse, Haltung, überlegene Gefaßtheit", all das würde Turischtschewa jedoch nur bläßlich beschreiben. Warum? Wegen dieser atemberaubenden Szene. Darunter You-Tube-Kommentare.







As she told in an interview, while performing she already felt the bars were about to collapse. But she decided not to break her performance. When they fell at last, it was no surprise to her, she knew it will happen. Her wonderful composure is not that she didn't look back, but that she continued her performance, KNOWING that bars may fall in any second. It is a miracle they fell only AFTER.

Do you want to know the definition of "cool?" WATCH THIS VIDEO! Ludmilla Tourischeva is one of my favorite athletes of all time. Skill, strength, style and class...The bars collapse - had it happened 2 seconds earlier she might have been badly hurt - and she doesn't even blink! If only more athletes today - regardless of sport - would emulate her class and grace...

Cool Girls don't look at destruction.

Cool girls don't look at large collapsing structures.

Talk about bringing down the house.

Damn! She just walked away like, "So what?" Sheesh.

She said, "Top that bitches!"

It's as though the bars decided, "Forget it, no one else is going to be worthy."
 
This is the gymnastics version of having a car explode right behind you and having a tire fly directly past you on one side and a serrated piece of metal on the other side of you all while not even blinking.

"What mother fuckers? What?"